Muslim_innen in Ostdeutschland

Da nur circa 2% der insgesamt rund 5 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern haben, ist die vielfältige Lebenswirklichkeit von Muslim_innen vor Ort in kaum einem Medium sichtbar.

Auf der folgenden Seite sind Informationen zusammengetragen, die sich vor allem auf die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen beziehen.

Geschichte

Die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Vorderen Orient reichen weit in der Geschichte zurück und waren geprägt durch Handelsbeziehungen, diplomatischen Austausch sowie militärische Auseinandersetzungen. Eine nennenswerte Zuwanderung nach Deutschland begann jedoch erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts. In Ostdeutschland begann der Zuzug von Muslim_innen in der Zeit der DDR. Der Anteil an Ausländer_innen in der DDR betrug ungefähr ein Prozent. Dies waren vor allem Vertragsarbeiter_innen, Studierende sowie Flüchtlinge aus befreundeten Staaten. Ein Teil dieser Herkunftsstaaten waren Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung (z.B. Palästina, Algerien, Libyen). Die Ausübung ihrer Religion wurde den wenigen Muslimen und Musliminnen in der DDR jedoch nur sehr eingeschränkt gewährt. Es gab keine Moscheen oder Imame; nur in einzelnen Studentenwohnheimen wurden Gebetsräume für muslimische Studierende eingerichtet. Mit der Wende 1989/90 verloren große Teile der Vertragsarbeiter_innen und Studierenden ihren Status und wurden ausgewiesen. Als im Verlauf der 90er Jahre Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern einwanderten sowie Geflüchtete zum Beispiel aus Bosnien nach Ostdeutschland kamen, wuchs damit auch die Zahl der Muslim_innen. Außerdem verlegten auch deutsche Muslime aus den alten Bundesländern ihren Wohnsitz in ostdeutsche Städte und Regionen. Ab Mitte der 90er Jahre gründeten sich die ersten muslimischen Gemeinden in den neuen Bundesländern. Eine Übersicht über muslimische Gemeinden in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen finden Sie hier.

Literatur:

Hakenberg, Marie/ Klemm, Verena (Hg.): Muslime in Sachsen. Geschichte, Fakten, Lebenswelten, Leipzig 2016.

Zahlen und Zusammensetzung

Genaue Zahlen über die Anzahl der Muslim_innen in Deutschland und in den einzelnen Bundesländern gibt es nicht, da die Religionszugehörigkeit in Deutschland nicht über das Melderegister erfasst wird. Dennoch gibt es verschiedene Verfahren zur Schätzung. Die hier vorliegenden Zahlen berufen sich auf die Studie „Muslimische Leben in Deutschland“ des Bundeamtes für Migration und Flüchtlinge (2009) sowie die Bevölkerungszahlen für Bundesländer des Statistischen Bundesamtes (2013).

Durch die gestiegenen Zahlen Geflüchteter 2014 und 2015, von denen ungefähr zwei Drittel muslimischen Glaubens sind, ist die Zahl der Muslime und Musliminnen in Deutschland von ca. 4,8% auf 5,6% gestiegen. Von allen Muslim_innen in der Bundesrepublik leben in den ostdeutschen Bundesländern lediglich 2%. Zahlen zu den einzelnen Bundesländern werden kaum erhoben, hier folgt jedoch eine grobe Schätzung anhand einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von 2015:

Schätzung in absoluten Zahlen (2015)Prozentteil von Muslim_innen (2015)
Brandenburg4.0000,1
Sachsen28.0000,7
Sachsen-Anhalt16.0000,4
Thüringen8.0000,2

Der größte Teil der Musliminnen und Muslime lebt in Großstädten wie Leipzig, Erfurt, Potsdam oder Magdeburg. In manchen Regionen, wie zum Beispiel in Thüringen, haben sich auch in vielen Kleinstädten aktive muslimische Gemeinden gegründet.

Von den konfessionellen Strömungen der Sunniten, Schiiten, Aleviten und Ahmadiyya sind die Sunniten als größte Konfession in den ostdeutschen Bundesländern vertreten. Aleviten machen im Bundesvergleich in Ostdeutschland eine geringere Zahl aus, da diese Störmung vor allem türkisch geprägt ist; türkeistämmige Muslime sind vor allem in Westdeutschland beheimatet. Die Ahmadiyya-Gemeinde baut derzeit in mehreren ostdeutschen Großstädten muslimische Zentren auf, zum Beispiel in Leipzig und in Erfurt.

Musliminnen und Muslime gehören natürlich den unterschiedlichsten sozio-ökonomischen und politischen Milieus an. Muslimische Akademiker_innen, Ärzte, Jurist_innen und Journalist_innen gehören ebenso dazu wie Geflüchtete. Im Vergleich zu den westdeutschen Budnesländern machen jedoch muslimische Geflüchtete einen überdurchschnittlich großen Teil der Muslim_innen in den neuen Ländern aus.

Nur ein sehr kleiner Teil der in Deutschland lebenden Muslime und Musliminnen wird den Islamisten zugerechnet. Schätzungen des Verfassungsschutzes gehen von ungefähr 1% aller Muslim_innen in Deutschland aus. Genaue Zahlen und Informationen zu den einzelnen Bundesländern finden sich auf den Internetseiten des Verfassungsschutzes der Länder.

Literatur:

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.): Muslimisches Leben in Deutschland im Auftrag der deutschen Islamkonferenz, Nürnberg 2009.

Stichs, Anja (2016): Wie viele Muslime leben in Deutschland? Eine Hochrechnung über die Anzahl der Muslime in Deutschland zum Stand 31. Dezember 2015. Working Paper 71 des Forschungszentrums des Bundesamtes, Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Stadt Leipzig; Referat für Integration und Migration (Hrsg.): Daten und Fakten zur Präsenz von Musliminnen und Muslimen in Leipzig, zu Grundsätzen der Religionsausübung und zum interreligiösen Dialog –> PDF

 

Aus dem Alltag

  • In vielen größeren Städten existieren orientalische Geschäfte und Gastgewerbe, die auch halal-Speisen anbieten
  • Seit 1997 gibt es auf dem Leipziger Ostfriedhof ein muslimisches Gräberfeld, auf welchem die Toten nach Mekka ausgerichtet werden. Auch in mehreren anderen ostdeutschen Großstädten (Erfurt, Halle, Dresden, Chemnitz, u.a.) wurde in den letzten Jahren ein Platz für Muslim_innen auf den Friedhöfen bereitgestellt.
  • An vielen Universitäten studieren eineVielzahl muslimischer Studierende; an der Universität Leipzig sowie der Technischen Universität Illmenau und der Technischen Universität in Cottbus gibt es zudem eine muslimische Hochschulgruppe, welche die Interessen der muslimischen Studierenden vertritt.
  • In mehreren ostdeutschen Städten beteiligen sich die muslimischen Gemeinden am interreligiösen Dialog. In Magdeburg gibt es beispielsweise gemeinsame Veranstaltungen der evangelischen Kirche und der islamischen Gemeinde, in Halle einen interreligiösen Frauentreff und in Leipzig die Beteiligung am Interreligiösen Runden Tisch der Stadt.

Literatur:

Hakenberg, Marie/ Klemm, Verena (Hg.): Muslime in Sachsen. Geschichte, Fakten, Lebenswelten, Leipzig 2016.

Moscheegemeinden

Ein Teil der Musliminnen und Muslime in Ostdeutschland besucht regelmäßig, zum Freitagsgebet und zu den Festtagen, eine der hier ansässigen Moscheegemeinden. Andere Muslim_innen leben ihren Glauben lediglich im privaten und sind an keine der Gemeinden angeschlossen.
In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hat sich ein breites Netz an Moscheegemeinden gegründet, das sich nicht nur auf die Großstädte konzentriert. Auch in kleineren Städten bestehen Moscheevereine, um der vor Ort lebenden muslimischen Bevölkerung einen Anlaufpunkt zu geben.
Nur wenige Moscheen in Ostdeutschland gehören einem der Dachverbände, z.B. der DITIB oder der IGBD an. Die meisten Moscheen sind an keinen der bundesweiten Dachverbände angeschlossen, sondern unabhängige Vereine, die sich aus Spenden ihrer Mitglieder finanzieren. Mit meist ehrenamtlichem Engagement werden die religiösen sowie sozialen Angebote umgesetzt.

Keine der ostdeutschen Gemeinden verfügt bisher über einen repräsentativen Moscheebau mit Kuppel und Minarett. Der erste repräsentative Bau soll in Leipzig von der Ahmadiyya-Gemeinde umgesetzt werden. Es gibt Moscheen, die in ehemaligen Gewerberäumen zuhause sind; die Mitglieder kleiner oder neuer Gemeinden treffen sich meist Privatwohnungen.

Die muslimischen Gemeinden in Ostdeutschland sind in ihrer Größe, Struktur und ihren finanziellen Mittel sehr unterschiedlich. Einige konzentrieren ihr ehrenamtliches Engagement auf die Umsetzung des religiösen Angebots für ihre Gemeindemitglieder (Freitagsgebet, Festtage). Andere haben darüber hinaus Ressourcen für verschiedene soziale Angebote (Sozialberatung, Jugendgruppen, Deutschkurse, etc.) und sind offen für Gespräche und Besuche mit der nichtmuslimischen Bevölkerung. Mehrere der hiesigen Gemeinden beteiligen sich auch am bundesweiten Tag der offenen Moschee am 3. Oktober.

Schule

  • In den ostdeutschen Bundesländern gibt es aufgrund der geringen Anzahl der Muslim_innen keinen islamischen Religionsunterricht. Muslimische Schülerinnen und Schüler nehmen daher am Ethik- bzw. am christlicher Religionsunterricht teil.
  • Eine Freistellung vom Unterricht aufgrund religiöser Festtage ist für muslimische Schüler_innen wie für Angehörige anderer religiöser Minderheiten möglich.
  • Schülerinnen dürfen an öffentlichen Schulen Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit tragen und sich ihren religiösen Vorschriften entsprechend kleiden, d.h. das Tragen des Kopftuches ist während des Unterrichts erlaubt.
  • Viele weitere praktische Hinweise zum Thema Islam und Schule finden Sie in den Literaturangaben.

Literatur:

Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Muslimische Schülerinnen und Schüler in Sachsen. Information für Schule, Lehrer, Eltern –> Website

Ulrike Hinrichs/Nizar Romdhane: „Unsere Tochter nimmt nicht am Schwimmunterricht teil!“ 50 religiös-kulturelle Konfliktfälle in der Schule und wie man ihnen begegnet, Verlag an der Ruhr 2012.